Hauptziel des Musikunterrichts ist nach Überzeugung der Autorinnen und Autoren die Förderung der Fähigkeiten:
- sich musikalisch auszudrücken,
- Musik für sich selbst und mit anderen zusammen sinnvoll zu nutzen,
- Musik aus dem eigenen Kulturkreis und aus der Vielfalt der Musik der Welt zu verstehen.
Es gibt zahlreiche Beispiele von Schulen oder Unterrichtenden, denen dies hervorragend gelingt. Insgesamt steht der Musikunterricht in Deutschland jedoch eher vor Problemen. Die Ursachen dafür liegen teils in strukturellen Rahmenbedingungen, teils sind sie aber auch „hausgemacht“: Nicht selten empfinden sowohl Lernende als auch Lehrende den Musikunterricht und dessen Ergebnisse als beliebig. Das liegt an einer Fülle verschiedener Ziele und Inhalte des Musikunterrichts und seiner methodischen Gestaltung, aber auch an sich teils widersprechender Ausrichtungen.
Daher meinen die Autorinnen und Autoren:
- Musik und Musikunterricht sollten sich im Gefüge von Schule und Musikausbildung grundsätzlich neu positionieren.
- Aufbauender Musikunterricht ist der Versuch einer solchen Neu-Positionierung.
Im Zentrum des Aufbauenden Musikunterrichts steht das eigene Musizieren und musikbezogene Handeln der Schülerinnen und Schüler.
Aufbauender Musikunterricht will Wege zeigen
- von einem kognitiven und verbal orientierten Musikunterricht zu einem Unterricht, der Handeln und Wissen inhaltlich sinnvoll und methodisch konsequent verknüpft,
- vom Patchwork vieler verschiedener Einzelthemen zu einem integrierten Gesamtkonzept,
- zu mehr Nachhaltigkeit im Musikunterricht.
Im Aufbauenden Musikunterricht werden die musikalische Erfahrungs- und Handlungsfähigkeit sowie das musikalische Wissen der Schülerinnen und Schüler schrittweise aufgebaut und erweitert.
Aufbauender Musikunterricht setzt stofflicher Überfüllung und Beliebigkeit ein klar strukturiertes Konzept entgegen. Er sorgt für Kontinuität und Beständigkeit und räumt der Musikpraxis einen wesentlich höheren Stellenwert ein.
Der wesentliche Pfeiler dieses Konzepts ist ein progressives Bausteinsystem. Dieses stellt die Grundlagen für den schrittweisen Aufbau musikalischer Fähigkeiten und Kenntnisse bereit. Zugleich lässt es Freiräume für Erweiterungen und Gestaltungsideen.
Ziel ist, dass die Schülerinnen und Schüler ihre erworbenen Fähigkeiten in den Bereichen Metrum und Bewegung, Rhythmus sowie melodische und stimmliche Fähigkeiten sicher, flexibel und kreativ im vielfältigen musikalischen Gestalten anwenden können. So können sie diese zur Erschließung von Musik aus dem eigenen Erfahrungsraum und aus anderen Kulturen nutzbar machen.
Aufbauender Musikunterricht ist optimal verwirklicht, wenn die Lehrkraft das, was in Ausbildung und Berufsleben musikpädagogisch erarbeitet wurde, mit den schrittweise aufbauenden Bausteinen der Unterrichtsmaterialien verknüpft.
Die Handreichungen zum Aufbauenden Musikunterricht sollen nicht als Rezepte abgearbeitet, sondern mit Leben gefüllt werden. Deshalb geben sie nicht den Unterricht bis ins Detail vor: Sie bilden einen Rahmen, der jedem Unterrichtenden Raum für die Entfaltung seiner spezifischen, musikalisch vielfältigen Möglichkeiten und seiner didaktischen und methodischen Kreativität gibt.
Aufbauender Musikunterricht verknüpft drei Praxisfelder:
- Musikalisches Gestalten
- Aufbau musikalischer Fähigkeiten
- Erschließung von Kulturen
Die Praxisfelder werden durch musikalische Unterrichtsvorhaben in einem übergreifenden Kontext miteinander verknüpft.
Praxisfeld 1: Vielfältiges musikalisches Gestalten
Das gemeinsame musikalische Gestalten der Kinder und Jugendlichen – das Klassenmusizieren in allen möglichen Formen – erhält im Aufbauenden Musikunterricht zentralen Stellenwert. Gemeinsames Singen, Bewegungsspiele, Bodypercussion und Tanz sowie verschiedene Formen des Instrumentalspiels in stilistischer Vielfalt bilden Grundlagen für den Erwerb musikalischer Fähigkeiten, jedoch auch Möglichkeiten für deren Anwendung. Unverzichtbar ist die Verbindung des Musizierens mit verschiedenen Umgangsweisen mit Musik: Musikhören, Tanzen zu Musik, Musik in andere Darstellungsformen umsetzen, über Musik sprechen u.v.m. Vielfältiges musikalisches Gestalten soll deshalb auch den größten Teil der Unterrichtszeit einnehmen.
Praxisfeld 2: Aufbau musikalischer Fähigkeiten
Musikalische Fähigkeiten (Singen; Instrumente spielen; Musik hören und beschreiben, bearbeiten und erfinden, lesen und notieren) werden schrittweise gezielt gefördert und kognitiv erschlossen. Es wird ein Musikunterricht angestrebt, in dem die musikalische Erfahrungs- und Handlungsfähigkeit schrittweise erweitert werden. Diese systematisch aufbauenden, lehrgangsartigen Anteile stehen in enger Wechselbeziehung zum musikalischen Gestalten (Praxisfeld 1) und zur Kulturerschließung (Praxisfeld 3). Sie dürfen sich nicht zu einem Selbstzweck verselbstständigen.
Praxisfeld 3: Erschließung von Kulturen
Nur in Verbindung mit einer lebendigen Musizierpraxis kann sich musikalisch-ästhetische Erfahrung entfalten und der Prozess der Kulturerschließung vollziehen. Was in den beiden zuvor genannten Praxisfeldern erarbeitet wird, soll den SuS Orientierung und Aufklärung über die verschiedenen musikalischen Umgangsweisen und Gebrauchssituationen in unserem Kulturraum und darüber hinaus geben. Es soll außerdem helfen, ihr eigenes musikalisches Handeln und seine Voraussetzungen und Folgen besser zu verstehen.
Aufbauender Musikunterricht zielt auf den Erwerb musikalischer Kompetenz. Kompetenzen sind anwendungsbezogene Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnisse im Umgang mit Musik. Es werden acht Dimensionen musikalischer Kompetenz unterschieden.
Das Wechselspiel der drei Grundbereiche musikalischen Handelns (sich in Verbindung mit Musik bewegen, Klänge erzeugen und Hören) eröffnet den SuS Wege zur Aneignung der wichtigsten Dimensionen musikalischer Kompetenz:
- Singen
- Instrumente spielen
- Bewegen und Tanzen
- Bearbeiten und Erfinden
- Hören und Beschreiben
- Musizieren und Tanzen anleiten
- Lesen und Notieren von Musik
- Herstellen von Kontexten
- Singen und Instrumente spielen stehen im Zentrum der Praxisfelder „Musikalische Fähigkeiten aufbauen“ und „Vielfältiges Musizieren“. Über das Finden der eigenen Stimme erarbeiten sich die SuS ein stilistisch vielfältiges Liedrepertoire. Dieses wird mit Instrumenten begleitet. Stimmbildung und Singen gehören stets zusammen.
- Metrisch-rhythmische Fähigkeiten erfahren die SuS grundsätzlich in Verbindung mit Bewegung und – wann immer sinnvoll – mit Tanz.
- Vielfältiges Variieren und einfache Improvisationen führen zur Fähigkeit, Musik selbstständig und kreativ zu bearbeiten und zu erfinden.
- All diese musikalischen Fähigkeiten erfordern ein immer genaueres Hören und bilden die Basis für das Beschreiben von Musik.
- Beim Anleiten des Musizierens durch die SuS werden die bisher genannten Fähigkeiten benötigt und gefestigt.
- So kommen die SuS vom Musizieren zur Fähigkeit des Lesens und Notierens von Musik. Diese Fähigkeit wird schrittweise verbessert.
- Das Herstellen von Kontexten (Funktionsbezüge der Musik, Umgangsweisen, kulturelle und historische Bezüge usw.) kann auf diesen Grundlagen aufbauend aus der eigenen musikalischen Tätigkeit und Erfahrung der SuS mit Musik heraus entwickelt werden.
Nicht alle Kompetenzen können in jeder Stunde angesprochen werden. Mit der Zeit ist es aber möglich, Zusammenhänge zu allen Dimensionen zu verdeutlichen:
- Ein Lied kann sowohl gesungen, als auch instrumental arrangiert und begleitet werden.
- Zwischenspiele und Tänze können dazu erfunden und Improvisationsteile eingefügt werden.
- Die Notenschrift wird benötigt, um ein erarbeitetes Stück wiederholt spielen oder aufführen zu können und um sich kulturelle, soziale oder historische Aspekte des Stücks zu erarbeiten.