Neue Musik in Lateinamerika speist sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aus zwei Anliegen: Zum einen aus der Bewusstseinsergreifung nach eigener Identität und der Unabhängigkeit von hegemonialen Machtzentren. Zum anderen aus dem Kontinent weiten Bedürfnis nach sozialer Gerechtigkeit und deren Fortbestehen bzw. dem Widerstand während der Niederschlagung alternativer politischer Strukturen durch die Militärdiktaturen der Siebziger- und Achtzigerjahre. Beide Überlegungen finden ihren Niederschlag in musikalischen Strukturen, die sich aus diesem Bestreben heraus mit der tiefgreifenden Wiederinanspruchnahme des präkolumbianischen Erbes sowie der Herausbildung einer eigenen Klangsprache, die sich unabhängig von (neo-) kolonialen Zentren versteht, beschäftigt. Kunstschaffende wie Graciela Paraskevaídis, Hilda Dianda, Coriún Aharonián, Eduardo Cáceres, Cecilia Cordero, Ulises Ferretti und Juan José Iturriberry gehen während der jüngsten Militärdiktaturen ihrer Länder nicht ins Exil, sondern widmen sich aus dem Innern der Diktaturen heraus einer Form des kulturellen Widerstandes, der die Strukturen und Wege Neuer Musik mit sozialer, politischer und historischer Verantwortung vereint.
Die vorliegende Arbeit nimmt den besonderen historischen und gesellschaftlichen Kontext dieses Musikschaffens in den Fokus. Anhand von zahlreichen Abbildungen, Notenbeispielen und geeigneten Analysen soll untersucht werden, inwiefern und in welcher Form Neue Musik tiefgreifende und nachhaltige Beiträge zu Veränderungen in gesellschaftlichen oder politischen Strukturen im Lateinamerika des 20. Jahrhunderts liefern kann. Darüber hinaus soll gezeigt werden, welche Bedeutung Kunstprodukten im eigentlichen, übergeordneten Ziel zukommt: der Umkehrung gesellschaftlicher und kultureller Strukturen zugunsten eines gleichberechtigten Dialoges der Kulturen auf Augenhöhe.
Dem Buch liegt eine MP3-CD bei.